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Sitzlandbesteuerung

Nach Auffassung der Europäischen Kommission können die steuerlichen Hindernisse, mit denen Unternehmen, die in mehr als einem Mitgliedstaat tätig sind, konfrontiert sind, nur dadurch systematisch beseitigt werden, dass diesen Unternehmen die Möglichkeit eingeräumt wird, für ihre EU-weiten Tätigkeiten eine konsolidierte Körperschaftsteuer-Bemessungsgrundlage zu verwenden. Gezielte Lösungen mögen viele Vorteile haben und können teilweise durchaus zur Beseitigung steuerlicher Hindernisse beitragen. Doch selbst wenn sie alle durchgeführt würden, würde dies nichts an dem grundsätzlichen Problem ändern, dass die Unternehmen mit bis zu 25 verschiedenen Steuersystemen umgehen müssen.

Die für Steuern und Zollunion zuständige Generaldirektion der Kommission arbeitet derzeit an zwei umfassenden Ansätzen, die auf eine Beseitigung steuerlicher Hindernisse für im Binnenmarkt tätige Unternehmen abzielen. Dies sind:

  • die einheitliche konsolidierte Körperschaftsteuer-Bemessungsgrundlage und
  • eine Pilotregelung zur Besteuerung kleiner und mittlerer Unternehmen nach den Regeln des Sitzstaates (Sitzlandbesteuerung).

"Sitzlandbesteuerung für KMU"

Die Europäische Kommission hat eine Mitteilung angenommen (KOM/05/702), in der sie aufzeigt, wie sich die Befolgungskosten und sonstigen Probleme im Zusammenhang mit der Unternehmensbesteuerung, mit denen sich kleine und mittlere Unternehmen (KMU) bei grenzüberschreitenden Geschäften konfrontiert sehen, reduzieren ließen. Sie schlägt vor, dass die Mitgliedstaaten den KMU gestatten sollen, ihre zu versteuernden Unternehmensgewinne nach den Steuerregelungen des Landes zu ermitteln, in dem ihre Muttergesellschaft bzw. ihre Hauptverwaltung ansässig ist. Somit könnten KMU, die eine Tochtergesellschaft oder eine Zweigniederlassung in einem anderen Mitgliedstaat gründen wollen, ihre Gewinne auf Basis der vertrauten Steuerregelungen ihres Sitzlands ermitteln (siehe auch Folgenabschätzung , Pressemitteilung (IP/06/11) und Fragen/Antwortliste (MEMO/06/4)).

Das System der "Sitzlandbesteuerung" wäre sowohl für die Mitgliedstaaten als auch für die Unternehmen freiwillig; es soll zunächst für fünf Jahre versuchsweise eingeführt werden. Die von der Kommission durchgeführte EU-Steuerumfrage 2004 (siehe IP/04/1091 und European Tax Survey/ Taxation Paper Nr 3) hat ergeben, dass die Unternehmen bei grenzüberschreitender Tätigkeit sowohl mit höheren Unternehmenssteuern als auch mit höheren Kosten für die Befolgung der MwSt-Vorschriften belastet werden und dass diese Kosten bei KMU vergleichsweise höher liegen als bei großen Unternehmen.

Das von der Kommission vorgeschlagene Konzept der "Sitzlandbesteuerung" basiert auf dem Prinzip der freiwilligen gegenseitigen Anerkennung der Steuervorschriften durch die Mitgliedstaaten. Dabei würden die Gewinne einer Unternehmensgruppe, die in mehr als einem Mitgliedstaat tätig ist, nach den Unternehmensteuervorschriften eines einzigen Landes ermittelt werden, nämlich nach denen des Sitzlandes der Muttergesellschaft bzw. der Hauptverwaltung der Gruppe.

KMU, die eine Tochtergesellschaft oder eine Zweigniederlassung in einem anderen Mitgliedstaat gründen wollen, könnten somit die Steuerregelungen in Anspruch nehmen, die ihnen bereits vertraut sind.

  • Als KMU würden dabei - gemäß der allgemein üblichen Definition der EU-Unternehmen mit weniger als 250 Beschäftigten, einem Jahresumsatz von höchstens 50 Mio. Euro und/oder einer Jahresbilanzsumme von bis zu 43 Mio. Euro gelten.
  • Sitzlandbesteuerung heißt nicht, dass ausschließlich im Sitzland Steuern erhoben werden. Es würde lediglich bedeuten, dass die Steuerbemessungsgrundlage (d.h. die steuerpflichtigen Gewinne) der KMU nach den Vorschriften des jeweiligen Sitzlandes berechnet würde. Jeder teilnehmende Mitgliedstaat würde dann seinen eigenen Körperschaftssteuersatz auf den Anteil der Gewinne anwenden, der entsprechend ihrem Anteil an der Gesamtlohnsumme und/oder des Gesamtumsatzes ermittelt würde.
  • Die Neuregelung soll zunächst versuchsweise befristet eingeführt werden, um ihren praktischen Nutzen für die KMU und ihren allgemeinen wirtschaftlichen Nutzen für die EU zu testen, wobei sich der Verwaltungsaufwand und Einnahmerisiken für die Mitgliedstaaten in Grenzen halten sollen. Die Kommission legt in ihrer Mitteilung ausführlich dar, wie eine solche Pilotregelung im Einzelnen aussehen könnte.
  • Mitgliedstaaten, die zur Einführung der Regelung bereit sind, könnten entsprechende bilaterale oder multilaterale Vereinbarungen treffen, sich auf befristete Ergänzungen zu bestehenden Doppelbesteuerungsabkommen oder multilateralen Übereinkünften verständigen oder aber ein neues multilaterales Übereinkommen abschließen.

Die Kommission sieht in der Sitzlandbesteuerung einen vielversprechenden Ansatz zur Beseitigung der steuerlichen Probleme, die den KMU die grenzüberschreitende Expansion erschweren. Hierzu zählen in erster Linie die Befolgungskosten sowie die fehlende Möglichkeit eines grenzübergreifenden Verlustausgleichs.

Der wirtschaftliche Gesamtnutzen der Regelung für den Binnenmarkt wäre beträchtlich. Mit ihrem Lissabon-Aktionsplan (siehe IP/05/973) hat die Kommission dem Prozess von Lissabon auch im Steuerbereich neue Impulse verliehen. Sie hat wiederholt die Bedeutung der kleinen und mittleren Unternehmen für die wirtschaftliche Entwicklung der EU unterstrichen und umfassende politische Maßnahmen zu ihren Gunsten eingefordert. Der Europäische Rat hat sich dieser Forderung auf seiner Tagung am 23. März angeschlossen.

Hintergrund

Die Sitzlandbesteuerung wurde von der Kommission zuerst 2001 aufgegriffen (KOM(2001) 582 vom 23.10.2001) und 2003 weiter untersucht (KOM(2003) 726 vom 24.11.2003).

Im Jahr 2003 wurde eine öffentliche Konsultation zur Sitzlandbesteuerung durchgeführt.

Im Juni 2004 wurden dann zusätzlich ein Fragebogen und ein Papier mit dem Titel "Versuchsweise Anwendung der Sitzlandbesteuerung auf KMU "Skizzierung eines möglichen Pilotprojekts " veröffentlicht. Eine Zusammenfassung der Antworten auf den Fragebogen ist verfügbar.

Im Juli 2004 legte die Kommission außerdem ein Non-Paper zu der Pilotregelung vor, das dem informellen Rat "Wirtschaft und Finanzen" im September 2004 unterbreitet wurde. Es fand jedoch keine ausführliche Diskussion über dieses Papier statt.

Das Konzept der Sitzlandbesteuerung geht auf wissenschaftliche Forschungsarbeiten zurück (vgl. Lodin, S.-O. and Gammie, M., Home State Taxation, IBFD Publications, Amsterdam, 2001). Eine Zusammenfassung dieses Werks ist frei zugänglich.